Geschichte

Wie wir wurden, was wir sind

Pegasus flieg!

 

Gründung als Studentengruppe

Das ueTheater gründete sich 2002 als Reaktion auf die weitgehend unpolitische Theaterlandschaft an der Uni Regensburg. Eine Universität ohne gesellschaftskritisches Theater, was soll das? Schon beim ersten Stück, „Bruder Eichmann“ von Heinar Kipphardt, zeigten sich die Stärken des ueTheaters: klare Standpunkte und offensiv kreative Umsetzung. Projektionen, Videosequenzen, Schattenspiele, kreischendes Gitarrenfeedback, Lichteffekte von Stroboskop bis Spiegelkugel – wir fuhren alles auf, was das diesbezüglich hervorragend ausgestattete Theaterhaus an der Regensburger Uni zu bieten hatte.

Als nächstes wählten wir Dario Fos Stück „Zufälliger Tod eines Anarchisten“. Darin tritt ein abgedrehter Spaßmacher auf, der einem korrupten, mafiösen und hoffnungslos rechtsradikalen Polizeiapparat gehörig auf die Eisen steigt. Unserer Meinung nach schrie das gewaltig nach Kasperltheaterbühne. Um den Gag komplett zu machen, ließen wir zwischen den Szenen einen echten Kasperl nebst Maxl als Bühnenarbeiter werkeln. Ihre Zwiegespräche waren die ersten selbstverfassten Texte des ueTheaters. Und noch eine Premiere war zu vermelden: Selbstkomponierte Bühnenmusik, von einer Live-Band umgesetzt.

Die ersten selbstverfassten Stücke

Eigentlich wollten wir danach „Raststätte“ von Elfriede Jellinek anpacken. Doch der geldgierige Rowolth-Verlag verweigerte die Rechte. Bei einer Vergabe an freie Theater sei nix verdient. Dies ließ als Trotzreaktion den Entschluss reifen, die Stücke in Zukunft gleich selbst zu schreiben. In ellenlangen Improvisationen entwickelten wir „großer bruder 2010“, ein Endzeit-Big-Brother-Spektakel auf der Grundlage von Schröders und Fischers Agenda 2010. Das Publikum wurde an alle vier Bühnenseiten gesetzt und blickte von oben herab durch einen schwarzen Gazevorhang auf das Treiben. Womöglich war das unser bisher spektakulärster Bühnenaufbau.

Yalis Frage Boot

Und weil's so schön war, kreierten wir auch das nächste Stück mit eigener Hand: „Die Grantlhubers und der Sinn des Lebens“. Als Bauerntheater getarnt sollten linksradikale Ansichten unters Volk gestreut werden. Nach der Uni-Aufführung tingelten wir damit übers Land, aber wir mußten resigniert feststellen: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Schließlich lädierten wir einen geliehenen Kleintransporter, womit die Grantlhubers in einem mittleren Desaster endete. Aber Spaß hat es trotzdem gemacht.

Relatives Preissystem

Die „Grantlhubers“ waren aber nicht nur der erste Ausflug ins abenteuerlich-verruchte Tourneeleben, sondern auch der Start für eine neuartige Berechnung von Eintrittspreisen, dem sogenannten „relativen Preissystem“. Denn ab sofort kostete und kostet eine ueTheater-Karte nicht mehr für alle dasselbe, egal, ob der Zuschauer ein Millionär oder armer Schlucker ist, sondern jede und jeder zahlt prozentual einen bestimmten Betrag seines bzw. ihres Monatseinkommens. Wer tausend Euro verdient, zahlt beispielsweise 7 Euro, wer 10 000 verdient 70 Euro usw. Äußerst lehrreich für so manch Begüterten, der glaubt, 7 Euro sei wenig Geld. Einem Multimillionär würde eine ueTheater-Karte übrigens mehrere tausend Euro kosten. dass diesem unsere relativ günstigen Karten wahrscheinlich absolut zu teuer sind, ist nicht unbedingt eine unangenehme Vorstellung, finden wir.

Shakespeare!

So schön es ist, eigene Sachen zu schreiben, aber damit Publikum zu locken, ist ein vertracktes Ding. Darum sollte das nächste Stück wieder etwas allgemein Bekanntes sein, ein Klassiker. Und wenn schon klassisch, dann auch richtig: Shakespeare! Manche sagten, die Interpretation des ueTheaters sei ein genialer Einfall gewesen, denn wie in Shakespeares Stück „Maß für Maß“ trat auch während unserer Inszenierung ein Mensch fürs Grobe auf den Plan, eine „Beraterin“ der berüchtigten Consultingfirma McKinsey. Sie setzte während der Vorstellung für die Theater-Chefetage und im Namen des Profits nach und nach alle gängigen, neoliberalen Sauereien um. Insbesondere hatten immer weniger Schauspieler immer mehr Rollen zu spielen, bei sinkendem Lohn versteht sich, bis am Schluss nur noch ein einziger einsamer Mime alle Parts des Stücks stemmte. That's Capitalism!

Yalis Frage Häuptlingsfrau

Die Stadtgruppe

Da „großer bruder 2010“ die schöne neue Welt der Hartz IV-Gesetze zum Inhalt hatte, kam irgendwann die Idee auf, das Stück noch einmal einzustudieren, diesmal aber mit Betroffenen. Das war der Grundstein für eine weitere Abteilung des bis dahin überwiegend studentischen ueTheaters: Theater mit engagierten Leuten aus der Stadt. Bald kam es zu einer produktiven Zusammenarbeit mit Aktiven der sozialen Straßenzeitung Donaustrudl. Die Gewerkschaft DGB stellte freundlicherweise einen Raum zur Verfügung und nach mehreren Monaten Vorbereitungszeit hatte „großer bruder II“ im Regensburger Spielhaus Premiere. Es war ein schöner Erfolg und motivierte weiterzumachen.

Und so nahmen wir uns einen alten Griechen vor. „Plutos“ von Aristophanes ist ein erstaunlich aktuelles Stück, obwohl es knapp 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung geschrieben wurde. Nur wenige Anpassungen waren nötig, um es als die ideale Antwort auf die Finanzkrise zu präsentieren. Wieder wurde es mit der „Stadtgruppe“ einstudiert, diesmal aber um einen Chor und der Band „Drei Takte Rumba“ erweitert. Es war, wenn man die Zahl der Mitwirkenden betrachtet, das bisher ergeizigste Projekt des ueTheaters. Und wir glauben, auch Aristophanes hätte seinen Spaß gehabt.

Politisches Engagement

Neben abendfüllenden Theatervorstellung versucht das ueTheater auch mit kleineren Aktionen sein Scherflein zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen. Ein Vortrag des bekannten Philosophen Thomas Metscher über Brecht beispielsweise wurde mit dem kleinen Sketch „Brecht abgewickelt“ eingeleitet. Während des Fußballweltmeisterschaftstaumels verwiesen wir in der Regensburger Fußgängerzone auf die Ausbeutung von Adidas-Näherinnen in Südamerika. Ebenfalls mit Straßentheater beteiligten wir uns in Zusammenarbeit mit Attac und Greenpeace an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Und anlässlich des Tags des Flüchtlings zeigten wir in Kooperation mit BI Asyl, wie so eine ganz normale Abschiebung, morgens, um fünf Uhr in Deutschland, seinen brutalen Anfang nimmt.

Breiten Raum nahmen auch immer wieder Aktivitäten außerhalb des reinen Theaterschaffens ein. So startete das ueTheater die Initiative, das Uni-Theater, welches bisher noch keinen eindeutigen Namen hat, obwohl es das drittgrößte Theater Regensburgs ist, nach der Volksschullehrerin Elly Maldaque zu benennen. Elly Maldaque gilt als das erste Nazi-Opfer Regensburgs. Ihr Fall erregte während der Weimarer Republik soviel Aufsehen, dass unter anderen Ödön vor Horváth und Walter Mehring ihr Schicksal in eigenen Werken verarbeiteten.

Yalis Frage Häuptling

In den letzten Jahren trat das ueTheater auch immer wieder als Unterstützer unterschiedlicher politischer Anliegen auf, z.B. der Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für nicht EG-Ausländer. Außerdem sind wir Mitglied des Bündnisses „Kein Platz für Neonazis in Regensburg“.

Professionelle Schiene

Wieder zurück zum Theater. Weitere Stücke wurden geschrieben. Ein Stück über die bereits vorher erwähnte Regensburger Lehrerin: „Elly Maldaque, denn du bist nicht Deutschland“ und ein Stück gegen Mobbing: „Die kleine Macht“. Beide wurden mit studentischen Akteuren an der Uni aufgeführt.

Doch langsam reifte das Bedürfnis, auch eine professionelle Schiene zu eröffnen. Den Anfang machte „Solo für den Teufel“. Dieses ist ein höchst religionskritisches „Eine-Frau“-Stück, konzipiert als Mittelding zwischen Kabarett und Theaterstück mit betont minimalistischer Bühnenausstattung. Nach der Premiere in Regensburg führten uns Aufführungen nach Passau, Ulm, Augsburg, bis hoch nach Koblenz/Mastershausen. Die dortige Aufführung bei der Giordano Bruno Stiftung, dem Zentrum des deutschen Humanismus, darf als kleiner Höhepunkt gerechnet werden. Auch eine andere Theatergruppe nahm den „Teufel“ in ihr Repertoire auf, „tiefenschatz“ aus Berlin, was uns natürlich sehr erfreute.

2007 startete in Regensburg das vom Bundesministerium für Familie geförderte Programm „VIELFALT TUT GUT – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus". Das ueTheater beschloß, sich mit einem für Schulen konzipierten Stück daran zu beteiligen: „Elly und Ingo“. Es stellt wiederum das Leben der Lehrerin Elly Maldaque auf die Bühne, diesmal aber wird ihrem Schicksal die Biographie eines gewalttätigen Neonazis gegenübergestellt. An über hundert Schulen in ganz Bayern wurde „Elly und Ingo“ mittlerweile mit großem Erfolg aufgeführt. Sogar in die Akademie für Lehrerfortbildung nach Dillingen wurden wir eingeladen, um angehenden Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz Anschauungsmaterial in Sachen Rechsextremismus vorzuführen.

Jubiläum

Nun geht das ueTheater schon ins zweite Jahrzehnt. Die professionelle Schiene wurde ausgebaut zu einem gut florierenden mobilen Schultheater mit mehreren beständig nachgefragten Stücken. An der Uni und in der Stadt werden nach wie vor ein- bis zweimal im Jahr selbstgeschriebene oder individuell adaptierte Stücke eingeprobt und aufgeführt. In Theaterworkshops geben wir unser Wissen weiter. Selbstredend entstehen in diesen Workshops neue, wunderbare, menschenfreundliche Theaterstücke. Denn was nutzt ein Theaterworkshop ohne Theater? Und ein ganz neuer Bereich ist hinzugekommen, „Forumtheater“. Er soll das ueTheater noch politischer machen, noch aktueller, noch relevanter.

Yalis Frage Berater

Das Forumtheater will nicht von Unterdrückten und Ungehörten spielen, sondern diesen selbst eine Stimme geben und Handlungsmöglichkeiten erforschen. Unsere ersten beiden Projekte „hochschuldiktatUR“ und „Armut in Regensburg“ waren vielversprechend, aber leider noch nicht relevant genug, denn an der Armut im reichen Regensburg hat sich bislang noch kein Jota geändert. Und auch die Hochschullandschaft ist diktatorisch wie eh und je, nur dass inzwischen die Wirtschaft statt der Professoren die Studentinnen und Studenten kuschen lässt. Ach, es gibt noch so viel zu tun …

 

Statistik

Das ueTheater brachte bisher knapp 30 1/2 Theaterstücke auf die Bühne, davon 22 1/2 aus eigener Feder. An geschätzten 713 Aufführungen beteiligten sich etwa 251 Akteure im Alter von 16 bis 66. Wir spielten an circa 254 verschiedenen Bühnen, Gemeinde- und Jugendzentren, Schulaulen, Turnhallen, Festsälen, Klassenzimmern, Kleinkunstbühnen, Hinterzimmern und Theatern mit und ohne Namen. In Tausenden von Probestunden wurden Hunderttausende Wörter, Gesten und Abläufe einstudiert. Dafür bekamen wir über eine Million einzelne Klatscher gespendet, was wiederum zu einer Milliarde Freudentränen … (Stand 2016)

Ausblick

Leider gibt es einen Ausblick, denn eigentlich wünscht sich ein sozial engagiertes Theater nichts mehr, als die eigene Überflüssigkeit. Aber bis unsere Planet für alle Weltbewohner menschenwürdig eingerichtet sein wird, ist es noch ein heftiges Stück Arbeit. Deshalb: Vorhang auf!

P.S.

Auch an einen Film wagte sich das ueTheater einstens, die Fotos stammen daraus. Aber das ist eine andere Geschichte...