Ellys Rechtfertigung

Veröffentlicht im Regensburger Echo 25. Juli 1930

Was liegt überhaupt vor?

Von Elly Maldaque

Diesen Bericht hat Elly Maldaque am 1. Juli 1930, unmittelbar nach ihrer Entlassung abgefaßt. Er ist mit großer Klarheit geschrieben und bildet in seiner leidenschaftslosen Sachlichkeit die vernichtendste Anklage gegen ihre feigen, hinterhältigen Gegner. Wer aber behauptet, daß sonst noch etwas gegen die Tote vorgelegen habe, der lügt.

Es ist richtig, daß ich mich für die kommunistische Bewegung interessiere. Ich bin aber nicht Mitglied der Kommunistischen Partei, habe nie eine Funktion ausgeführt, habe nie öffentlich oder geheim, schriftlich oder mündlich für die Bewegung agitiert, ich habe nie ein Referat gehalten, habe mich nie an einer Diskussion beteiligt. Von einer Verletzung meiner schulischen Pflichten ist überhaupt keine Rede und ist auch nie eine Klage von irgend einer Seite gekommen. Daß meine politische Richtung nur ein ganz privates, persönliches Interesse ist, geht schon daraus hervor, daß, als meine Dienstentlassung bekannt wurde, die Kollegenschaft ganz und gar überrascht war. An meinem Schulhaus hörten die meisten Kollegen von meiner politischen Anschauung das erste Wort am Tage meiner Entlassung.

Was liegt überhaupt vor?

Seit etwa zwei Jahren interessiere ich mich intensiver als bisher für Politik. Die soziale Bewegung lag mir besonders am Herzen. Hatte mir doch gerade meine schon langjährige Tätigkeit und die Erfahrung von Kollegen, besonders in größeren Städten einen tiefen Blick in die soziale Not unserer Zeit tun lassen. Ich besuchte politische Wahlversammlungen aller Richtungen, las die Presse von links nach rechts, vertiefte mich in politische Literatur, beobachtete die täglichen Vorgänge schärfer wie bisher. Allmählich erkannte ich klar die schreiende Ungerechtigkeit unserer Gesellschaftsordnung. Dann wollte ich die kommunistische Bewegung näher kennenlernen. Ich ging in mehrere kommunistische, öffentliche Versammlungen, z. B. in eine Eugen Leviné-Gedächtnisfeier, in eine Erwerbslosenversammlung, in einen Vortrag über Rußland, auch öffentliche Vorträge vom Deutschen Freidenkerverband hörte ich mir an. Die letzte derartige Gelegenheit war ein Vortrag von Professor Dr. Mager-München über »Kulturbolschewismus«, veranstaltet vom Freidenkerverband, wozu Gäste eingeladen waren. Ich versuchte auch in persönliche Fühlung mit den Leuten der kommunistischen Bewegung zu kommen, um sie näher kennen zu lernen und mir ein eigenes Urteil über diese landesüblich verfemte Klasse von Menschen bilden zu können. Um mir einen Einblick in die Ziele und Wege der Bewegung zu verschaffen, beteiligte ich mich an zwanglosen Zusammenkünften im Familienkreis, wo Fragen besprochen wurden wie: »Was wollen die Kommunisten?«, »Die Frau und der Sozialismus«, »Der Fünfjahresplan der Sowjetunion«. Was mir am meisten zur Last gelegt wird, ist die Tatsache, daß ich einige Wochen hindurch (1929) an Singstunden von Parteimitgliedern und Sympathisierenden, wo Lieder geübt wurden wie »Internationale«, oder: »Brüder zur Sonne, zur Freiheit«, teilgenommen habe. Ich habe dabei des öfteren Klavier gespielt und mitgesungen.

Die Polizei hatte anscheinend bald Kenntnis von meinen Besuchen solcher Veranstaltungen. Im März dieses Jahres wurde ich zu Herrn Oberstadtschulrat Freudenberger gerufen, der Kenntnis von der Sache bekommen hatte und der mich in freundschaftlicher persönlicher Weise auf die evtl. Folgen meiner Sympathien aufmerksam machte. Es ist aber zu betonen, daß jene kurze Unterredung in keiner Weise den Charakter einer amtlichen Verwarnung trug. Darauf schränkte ich meine Besuche ein.

Im März dieses Jahres bekam ich längeren Besuch von einer lag Freundin und Kollegin, die die gleiche Weltanschauung hat wie ich. Diese hatte das Schicksal der vielen unständigen Lehrerinnen in Thüringen, die durch die Sparmaßnahmen der dortigen neuen Regierung abgebaut worden waren (jedoch mit drei Monaten Kündigungsfrist), und ich nahm sie darum vorübergehend in meiner Wohnung auf, weil sie mittellos ist. Meine Freundin erlaubte sich anläßlich einer Gerichtsverhandlung (Ende März) auf dem Flur des Gerichtsgebäudes bis zum Beginn der Verhandlung, der sie als Zuhörer beiwohnte, mit einem Kommunisten zu sprechen. Darauf wurde sie nach Schluß der Verhandlung von der Kriminalpolizei festgenommen zwecks Feststellung ihrer Personalien und Durchsuchung ihrer Koffer und Taschen, was zuhause in meiner Wohnung vorgenommen wurde. Anschließend wurde auch bei mir Haussuchung gehalten unter Vorwand der Suche nach Zersetzungsschriften. Die Untersuchung brachte aber nichts Belastendes zutage, weder bei mir, noch bei meiner Freundin, man stellte lediglich fest, daß ich marxistische Literatur und Zeitungen las, und daß ich Mitglied von mehreren linksgerichteten Organisationen bin, die aber nicht parteipolitisch eingestellt sind, wie Arbeiterabstinentenbund, Internationale der Bildungsarbeiter, Freier Turn- und Sportverein, Bund der Freunde der Sowjetunion. Vor 14 Tagen bat ich den Oberschulrat um eine Woche Urlaub vor den Ferien zum Besuch einer internationalen pädagogischen Ausstellung in Leningrad zusammen mit einer Gruppe norddeutscher Lehrer. (Urlaub war wegen der Feriendifferenz nötig.) Die Stadtschulbehörde verlor keinen Ton des Staunens, geschweige denn der Warnung, sondern verwies mich mit aller Freundschaft darauf, ein diesbezügliches Gesuch über die Regierung an das Ministerium zu richten. Statt der Antwort erhalte ich vergangenen Samstag, den von 28. Juni, die Zustellung der fristlosen Entlassung.

Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, daß ich in diesem laufenden Jahre in anderen Angelegenheiten des öfteren auf der Stadtschulbehörde zu tun hatte, daß man aber nie einen Ton von der Gefährlichkeit meiner Lage hatte verlauten lassen, so daß ich die Meinung gewinnen mußte, mein politisches Interesse sei unbeanstandet und ich wäre nur wegen der Teilnahme an den damaligen Singstunden, die schon lange zurücklagen, verwarnt worden. Ich weiß nicht, was die Akten, die die Regierung zusammen mit der Polizei über mich gesammelt hat, alles enthalten. Ich habe kein Recht, sie einzusehen.

Man hat vorher von keinen anderen Maßregelungen Gebrauch gemacht, von denen eine ganze Reihe, wie Ordnungs- und Amtsstrafen in dem Schulaufsichtsgesetz vom 1.8.22 angeführt sind.

Man läßt es vollständig unberücksichtigt, daß ich seit Seminaraustritt schon 17 Jahre im Dienst stehe, daß ich 4 Jahre Kriegsaushilfe auf dem Lande geleistet habe, daß ich zehn Jahre an 8. Klasse zur vollsten Zufriedenheit der Eltern und Behörden - ohne jegliche Beanstandung auch in den letzten Jahren tätig war.

Am 1. September 1930 würde ich schulrechtlich in das unwiderrufliche Verhältnis eintreten. Eigentlich wäre ich ab 1. Jan. 1929 schon unwiderruflich, da ich im September 1917 den Staatskonkurs abgelegt habe. Ich hatte jedoch gerade 1919/20 eine private Stellung am Lohmanninstitut in Nürnberg inne, und so wurde ich erst am 1. September 1920 in Regensburg ständig angestellt. Trotz dieser langjährigen einwandfreien Dienstleistung benützt man zwei Monate bis zur Unwiderruflichkeit, um mich von einem Tag zum anderen auf die Straße zu werfen, ohne mir auch nur eine Spur von Möglichkeit zu lassen, mich nach einer neuen Existenz umzuschauen.

gez. Elly Maldaque

(zitiert nach Jürgen Schröder "Horváths Lehrerin von Regensburg - Der Fall Elly Maldaque", 1982)